Haseeb Ahmeds Licht- und Soundinstallation Ruach not Rauch beschäftigt sich mit dem Belüftungssystem des Mausoleums im Georgium und mit der Ruine eines Windkanals auf dem Gelände der ehemaligen Junkers Werke. Für den Künstler sind die beiden historisch bedeutsamen Orte durch das immaterielle Element Luft verbunden. Das Belüftungssystem im Mausoleum, für das Junkers eine Heizungsanlage geliefert hatte, diente der Konservierung von Gebeinen, der Bewahrung von Vergangenheit. Die Simulationen der Aerodynamik im Windkanal von 1936, nach Enteignung Hugo Junkers durch die Nationalsozialisten, waren Mittel zum Zweck auf dem Weg zum totalen Krieg, der Auslöschung jeglichen Lebens. Ruach bedeutet im Hebräischen Wind, Atem und Geist und meint in der jüdischen Bibel Tanach häufig den Atem oder das Handeln Gottes. Lüftungsschacht und Windkanal, vergangenes Totengedenken und ehemalige Kriegsbegeisterung werden durch Ruach not Rauch wiederbelebt und offenbaren ihre gebrochenen, vielschichtigen Narrative.
Ruach not Rauch
- Haseeb Ahmed, Ruach not Rauch, Intallationsansicht, Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine© Werkleitz 2019, Foto: Falk Wenzel
- Haseeb Ahmed, Ruach not Rauch, Intallationsansicht, Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine© Werkleitz 2019, Foto: Matthias Knoch
- Haseeb Ahmed, Ruach not Rauch, Intallationsansicht, Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine© Werkleitz 2019, Foto: Wieland Krause
Licht- und Soundinstallation
Interview Haseeb Ahmed mit Alexander Klose
AK: Im letzten Jahr hast du in einer großen Einzelausstellung im M HKA in Antwerpen The Wind Egg vorgestellt, den dritten und letzten Teil einer Trilogie, die auch Teil deiner auf künstlerischer Praxis basierenden Doktorarbeit war. Im Zentrum der immersiven Installation stand ein hochmoderner begehbarer Windkanal. Für Modell und Ruine willst du ebenfalls mit einem Windkanal arbeiten, diesmal mit der Ruine auf dem Gelände des ehemaligen Junkerswerks in Dessau. Woher kommt deine Faszination für Windkanäle?
HA: Der Windkanal stellt eine Schwelle dar: Alles, was sich durch die Luft bewegt (Vehikel), was Luft durch sich hindurch bewegt (Motoren) oder eine beträchtliche Menge Luft um sich herum bewegt (Gebäude), muss einen Windkanal passieren, bevor es in unsere industriell gefertigte Welt gelangt, doch findet das nur selten Erwähnung. Offenbart man ihn als formgebenden Faktor, verändert sich womöglich unsere Art, Dinge zu sehen, die wir für natürlich halten. Damit wird das Banale empfänglich für die Poesie.
Mit Windkanälen arbeite ich bereits seit 2008. Damals habe ich im Rahmen meines Studiums in Kunst, Kultur und Technik die Arbeit Shamshir + Wind Tunnel = Progress im Windkanal der Brüder Wright am MIT (Massachusetts Institute of Technology) geschaffen. Dazu platzierte ich im Windkanal die Replik eines persischen Shamshir-Säbels. Nicht der Säbel zerschnitt die Luft, sondern die Luft bewegte sich in der Geschwindigkeit, mit der der Säbel normalerweise durch die Luft schneidet, am Schwert vorbei. Dies hatte zur Folge, dass der kurze Moment eines Säbelschwungs unendlich lang ausgedehnt wurde, jedenfalls so lange, wie der Windkanal eingeschaltet war. Es war nur ein Moment, und die Konfiguration von Raum und Zeit in diesem Moment waren nur mit einem Windkanal möglich. Ich begann, diesen als Performer, bzw. im Geiste der russischen Konstruktivisten, die Maschine als Kameraden zu betrachten.
AK: Bei deiner Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Size Matters an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) wurde der Windkanal insofern als eine Art Metamodell beschrieben, als es sich um ein Modell bestimmter Strömungsverhältnisse handelt und die Optimierung anderer Modelle ermöglicht, die entwickelt werden, um unter diesen Strömungsverhältnissen zu funktionieren, z. B. Flugzeuge. Könntest du ein wenig zu der Frage der spezifischen Operativität von Windkanälen sagen und zu ihrer Eigenschaft als Modelle, die gleichzeitig etwas darstellen und etwas tun?
HA: Wir können den Wind nicht fassen, und doch berührt er uns ständig. Wir können den Wind nicht sehen, nur die Art und Weise, wie er auf Dinge um uns herum wirkt. Der Versuch, den ewig rätselhaft bleibenden Wind zu verstehen, hat eine ganze Menschheitsgeschichte an Mythen und auch Windkanälen hervorgebracht. Meine Arbeit spricht beide Facetten an. Windkanäle dienen der Untersuchung atmosphärischer Bedingungen. In dieser Hinsicht sind sie ein Modell unseres Verständnisses der Atmosphäre selbst, das dann wiederum Modelle von Objekten enthält, die sich mit der Bewegung der Luft befassen. Dazu erzeugen sie einen geradlinigen, gleichmäßigen Luftstrom bzw. eine laminare Strömung. Paradoxerweise existiert die laminare Strömung nirgendwo in der Natur. Wind ist immer turbulent, ein beliebtes Thema für Chaostheoretiker. In der Modellierung unserer atmosphärischen Bedingungen schaffen Windkanäle eine Realität, die nur in Windkanälen existiert. Ich nenne diese Realität die „Windkanalwelt“. Alle Modelle enthalten ein ähnliches Paradox, sie sind das, worauf sie sich beziehen, und etwas in und über sich selbst zugleich.
Die maßstabsgetreuen Modelle von Objekten, die sich normalerweise durch die Luft bewegen würden, werden stationär fixiert, während Luft mit der Geschwindigkeit, mit der sie sich normalerweise bewegen, an ihnen vorbeigeblasen wird. Ich finde diese Umkehrung von Raum und Zeit sehr verlockend. Der Raum wird eliminiert und die Zeit willkürlich. Die einzige Konstante, die bleibt, ist die Geschwindigkeit, die sich normalerweise aus dem Verhältnis zwischen den beiden ableitet.
Die Skalierung war für uns in der Gruppe Size Matters ein wichtiger Schwerpunkt. Eine maßstabsgerechte Größenanpassung des Modells im Vergleich zum Referenzobjekt ist fast immer erforderlich. Diese ist jedoch nichtlinear, da die Luft eine feste Dichte hat und abhängig von der Größe eines Objekts unterschiedlich wirkt. Für mich bedeutet diese nichtlineare Skalierung, dass bei verschiedenen Maßstäben verschiedene Realitäten gleichzeitig existieren können. Um hinter das jeweilige Verhältnis zu kommen, bedarf es der mathematischen Abstraktion. Die Navier-Stokes-Gleichung beinhaltet die Möglichkeit, alle Eigenschaften des Windes zu beschreiben, ist aber nach wie vor ungelöst. Für Luftfahrtingenieure ist der Windkanal daher ein Rechner, mit dem in Experimenten erzeugte Qualitäten in Quantitäten umgewandelt werden können.
AK: In seinen Anfangsjahren in Dessau entwickelte Hugo Junkers aus seinen Studien der Thermo- und Strömungsdynamik die Idee einer Gasheizung. Alles Weitere, insbesondere die Luftfahrttechnologie, für die er weltberühmt werden sollte, ging aus diesen Studien hervor. Zu seinen ersten Aufträgen in Dessau gehörte die Installation einer Gasheizung im Keller des neu errichteten Mausoleums. Sie sollte bei kaltem, feuchtem Wetter die Luftzirkulation in den Lüftungsschächten gewährleisten. Diese Lüftungsanlage ist ebenso baufällig wie der Windkanal bei Junkers. Der Windkanal war zur Entwicklung neuer Luftfahrttechnologie gedacht, das Mausoleum zur Unterbringung von Leichnamen. In der von dir geplanten Arbeit willst du beide Orte reanimieren und miteinander verbinden, indem du durch beide Strukturen den gleichen Wind wehen lässt. Hat dieses Vorhaben für dich auch eine spirituelle Dimension?
HA: Ich versuche bei meiner Arbeit häufig, Dinge zu verbinden, die wir normalerweise als Gegensätze oder als zusammenhanglos betrachten. Diese Strategie der Triangulation ist ein Versuch, die verborgenen Eigenschaften unserer schwer zu fassenden Gegenwart zum Vorschein zu bringen. Ein und derselbe Luftstrom, der durch beide Strukturen, Windkanal und Grabstätte, weht, stellt diese Art der Verbindung her, wobei die riesigen Lüftungsschächte der Krypta – die im Grunde auch Windkanäle darstellen – als Verstärker dienen. Beide Gebäude wurden durch die alliierten Bombenangriffe auf Dessau im Zweiten Weltkrieg zerstört und teilen das gleiche Schicksal. Da der Windkanal im Junkers-Komplex zur Entwicklung von Militärflugzeugen für die Luftwaffe genutzt wurde, besteht, wie schon beim Mausoleum eine Verbindung mit dem Tod.
Auf der anderen Seite wird der Wind in vielen Kulturen stark mit der Schöpfung verbunden. Die Schöpfung wird im Buch Genesis der Bibel beschrieben. Alles, was vor unserer Realität existierte, war ein Nichts aus dunklen Wassern. Gottes Atem, im Althebräischen als Ruach bekannt, blies über diese Wasser, um die eigentliche Schöpfung einzuleiten. Der Atem kommt noch vor dem Licht und durchströmt dementsprechend jedes lebende Wesen. Die alten Griechen glaubten, dass unser Körper von einem Gas namens Pneuma erfüllt ist, das unsere Gedanken und Emotionen möglich macht. Ruh ist im Arabischen die Seele, während Raha atmen heißt. Häufig wird dieser innere Fluss in unseren Körpern mit Vorstellungen vom Fluss der Zeit (d. h. Kairos) assoziiert und unser individuelles Schicksal so mit einer höheren Ordnung in Verbindung gebracht. Durch die gleichzeitige Wiederherstellung des Luftstroms durch Grabmal und Windkanal werden diese alten und modernen Anschauungen von Leben und Tod in einen Dialog gebracht.
AK: Die Konstellation in Dessau in den 1920er und frühen 1930er Jahren, die eine progressive linke Regierung mit einem fortschrittlichen Industrieunternehmen und einer fortschrittlichen Kunst- und Architekturschule in Einklang brachte, wurde immer wieder als Glücksmoment in der Geschichte bezeichnet. Rückblickend verbinden wir Friedenszeiten und zivilen Fortschritt damit. Nichtsdestotrotz lieferte die damals konzipierte Technologie auch die Grundlage für spätere Kriegsentwicklungen. Der Windkanal, den du wiederbeleben willst, wurde 1934 gebaut, als Hugo Junkers bereits gezwungen worden war, seine Fabrik und alle seine Patente an die NS-Regierung zu übergeben. In der Folge wurde sein Unternehmen, das weiter den renommierten Namen seines Gründers trug, der sich wiederholt öffentlich gegen die militärische Nutzung seiner luftfahrttechnischen Erfindungen geäußert hatte, in einen der größten Hersteller militärischer Luftfahrttechnik in Deutschland umgewandelt. Wie gehst du mit diesem historischen Bruch um? Kann man deiner Meinung nach zwischen guter und böser Technologie unterscheiden?
HA: Ich respektiere Junkers’ Widerstand gegen den Versuch der Nazis, seine Innovationen als Waffe zu nutzen. Trotzdem ist es meiner Ansicht nach nicht möglich, zwischen guter und böser Technologie zu unterscheiden, da Technologie selbst keine Handlungsmacht besitzt. Technik ist eine Form von Wunscherfüllung. Sie realisiert unsere kollektiven Begehren. Ich habe festgestellt, dass die Betrachtung des Windkanals als Performer der Vorstellung der russischen Konstruktivisten von der Maschine als Kamerad ähnelt. Unter kapitalistischen Bedingungen sind lebende Arbeit (der Mensch) und tote Arbeit (Maschinen) gezwungen, miteinander zu konkurrieren, aber das muss nicht so sein. Es ist der Wettbewerb, unter dessen Bedingungen Maschinen dazu eingesetzt werden, Wehrpflichtige zu töten, die normalerweise zu einer Arbeiterklasse gehören, die Marx zufolge revolutionäres Potenzial besitzt. Heute, da es keine Ideologie mehr gibt, um utopische Visionen zu mobilisieren, bleibt uns nur eine technokratische Vision. Wir hoffen, dass die Technik uns rettet, aber das können nur wir selbst.
Die wissenschaftliche Methode basiert auf dem Modell der Überprüfbarkeit. Damit eine Tatsache als Tatsache gilt, muss sie an jedem Ort und zu jeder Zeit reproduzierbar sein. Um diese Erwartung zu erfüllen, müssen die gleichen Laborverfahren eingehalten werden und die gleichen Laborbedingungen herrschen. Das Paradoxe ist jedoch, dass alle diese Orte gleich sind und daher nur Phänomene reproduzieren können, die unter diesen homogenen Bedingungen vorkommen und nicht in der Außenwelt. Dennoch beinhaltet die Dominanz des Modells der Überprüfbarkeit einen rationalen utopischen Kern, mit dem wir der Universalität näher gekommen sind als je zuvor. Diese äußert sich jedoch in Form einer allgegenwärtigen Banalität. Ich versuche auch, neue Erzählungen zu liefern und diesen universellen „Stoff“ für kreativere Konzepte verfügbar zu machen.
Der universelle Stoff verbindet unser Leben. So kann ich in diesem Fall eine persönliche Verbindung ziehen, die mein Projekt in Dessau zu einer Art Rückkehr werden lässt. Denn es war der Pädagoge, Designer und Künstler György Kepes vom Bauhaus Dessau, der das Center for Advanced Visual Studies am MIT gründete, wo ich meinen Abschluss und 2012 meine ersten Windkanal-Kunstwerke im Windkanal der Gebrüder Wright machte, der eine Art Nemesis des Windkanals ist, in dem ich jetzt auf dem ehemaligen Werksgelände von Junkers arbeite.