Zeit ist das beherrschende Thema in Nicolaus Gansterers Arbeiten für das Werkleitz Festival 2019. Mittels subtiler, ephemerer Interventionen im Park untersucht der Künstler Darstellungsmöglichkeiten für unterschiedliche Vorstellungen von Zeit. Markierungen an Baumstämmen, Verstrebungen zwischen Ästen, Schnüre und Linien um Mauerstücke und Torbögen präsentieren in flüchtigen Zeichen Denkfiguren und Schaubilder. Die periodische, zyklische Zeit der Natur steht neben messianischen Zeitvorstellungen, die auf ein klares Ende zulaufen, wie etwa im Christentum. Diese wiederum werden ergänzt um die Zeit der Katastrophe, das absolute Hier und Jetzt des Ereignisses sowie die „lange Dauer“ unserer Gegenwart, welche im Anthropozän mit planetaren Zeitlichkeiten in Verbindung steht, welche unsere alltägliche Vorstellung von Zeit als einem linearen Verlauf endgültig fragwürdig erscheinen lassen.
OT (Zeitzone)
- Nikolaus Gansterer, OT (Zeitzone), Installationsansicht Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine, 2019© Werkleitz 2019, Foto: Matthias Knoch
- Nikolaus Gansterer, OT (Zeitzone), Installationsansicht Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine, 2019© Werkleitz 2019, Foto: Matthias Knoch
- Nikolaus Gansterer, OT (Zeitzone), Installationsansicht Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine, 2019© Werkleitz 2019, Foto: Falk Wenzel
Interview Nikolaus Gansterer mit Alexander Klose
AK: In deinen Zeichnungen, Rauminstallationen und Performances arbeitest du über das Verhältnis zwischen Denken und Materie. Du erforschst Arten und Weisen, wie Vorstellungen und Erklärungen von etwas in die Welt kommen und dort eine gewisse Festigkeit erlangen – die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden oder, in deinem Falle, beim Zeichnen. Es geht dir also nicht, oder jedenfalls weniger, um Modelle – um eines unserer beiden großen Ausstellungsmotive ins Spiel zu bringen – als um Modellierungen, um die Prozesse der Modellwerdung.
NG: Eigentlich sind ja beide Phänomene – das Denken und die Materie – schwer voneinander zu trennen. Beide sind aufs Engste miteinander verflochten, befinden sich in einem permanenten Austausch und in Wechselwirkung. Genau deshalb interessiert es mich, den Spuren von Denkvorgängen zu folgen und Gedanken im Prozess des sich Manifestierens und des Materialisierens und in weiterer Folge ihren Einfluss wiederum aufs Denken und die Wahrnehmung zu beobachten. Wobei ich den etwas trockenen Begriff des Denkens gerne bis zum Empfinden erweitert verstanden wissen möchte. Man könnte vielleicht dieses Beschäftigungsfeld als erweiterte Morphogenese bezeichnen, also das künstlerische Studium von deren permanenter Formwerdung. Oftmals wird ja in den Künsten das Augenmerk auf das Resultat, das Werk gelegt, aber der gesamte Ideenfindungsprozess und dessen Resonanz bleiben relativ unbeachtet, oder werden zum Teil massiv verklärt. Es ist ja auch irgendwie obskur, wie Ideen überhaupt entstehen, aber auch verschwinden, oder? Dabei sind doch genau diese spekulativen Momente des Ent-werfens und des Ver-werfens, des Sinn-suchens und Sinn-schaffens so spannend. Da wo es passiert, was auch immer dieses „es“ ist.
Die Praxis des Zeichnens spielt hierbei für mich eine wesentliche Rolle, als epistemischer Vorgang der (Selbst-)Beobachtung – speziell, weil ich mit ihr relativ intuitiv agieren und „in Echtzeit“ operieren kann. Diese Notationen und Auf-zeichnungen fungieren quasi als Hypothese, die ähnlich wie eine Hilfskonstruktion oder, wenn du so willst, ein temporäres Mikromodell ständig wiederum neue Hypothesen erzeugt und ermöglicht. In diesem Sinne ist es, wie du sagst, eine Art Modellierungsvorgang von Zeichen, nur um diese wieder als Spur hinter sich zu lassen und sich auf die autopoietische Rückkopplung oder (mit Donna Haraway gesprochen) sympoietische Ökologie zwischen Denken und Materie einzulassen. Durch zeichnerisches Denken und in Folge denkenden Zeichnens entsteht ein Zustand des Werdens, des Co-agierens und Mit-seins mit meiner Um-welt.
AK: Du planst für unsere Ausstellung interventionistische, zeichenhafte Installationen in der historischen Parklandschaft des Georgengartens, bei deren Anlage zahlreiche historische Zeiten bewusst ineinander geschoben wurden. Du hast gesagt, Spinnweben und Hochwassermarkierungen als Symbole für vergangene Zeit und vergangene Ereignisse interessieren dich besonders. Was schwebt dir dabei vor? Welche Rolle spielte die Frage nach den spezifischen Zeitlichkeiten der Prozesse des „spekulativen Ent-werfens und Ver-werfens“, von denen du weiter oben schriebst, in deinen früheren Arbeiten?
NG: In den letzten vier Jahren habe ich im Rahmen des Forschungsprojekts Choreographic Figures mit einem interdisziplinären Team von Künstlerinnen und Künstlern, Choreographinnen und Choreographen, Schriftstellern, Poeten und Philosophen intensiv an verschiedenen Modi der Aufzeichenbarkeit von Präsenzen gearbeitet und daraus ein performatives „Notationssystem des Jetzt“ entwickelt. Für die Ausstellung in Dessau denke ich an verschiedene Interventionen im Park, die zur Hinterfragung von Zeitkonstruktionen einladen beziehungsweise als Visualisierungen von differenten Zeitmodellen aufgefasst werden können. Daran knüpfen sich weitere Fragen an: Wie entsteht Geschichte, oder wie wird sie gemacht?
Die einzelnen Interventionen sind noch im Werden, aber eine Idee ist beispielsweise, eine der im Park situierten, künstlich gebauten Ruinen wiederum mit künstlichen Spinnweben zu überziehen – also eine Art doppelte Über-zeichnung von Vergangenheit. Eine weitere Idee ist es, im Wald eine ganze Zone von Bäumen mit Schlammfarbe zu bemalen – gleichsam Spuren einer fiktiven Überschwemmung zu hinterlassen – in Referenz zu einem periodisch zyklischen Welt- und Zeitbild von Geschichte. Ein Einblick in eine Welt, in der Zeit nicht linear progressiv gedacht wird, sondern als ein ständiger Kreislauf von wiederkehrenden (kosmischen) Ereignissen. Eine dritte Intervention wird den Kairos adressieren – das ist ein zufällig auftretendes Ereignis, der günstige Augenblick – hier wird Zeit gedacht als eine Vielzahl von punktuellen singulären „Jetzt(-zeit)en“.
AK: Deiner künstlerischen Arbeit liegt eine radikale Entscheidung für das Ephemere, für das in der Zeit Ablaufende und nur als Momentaufnahme Fassbare zugrunde. Wie wirkt sich das auf die Wahrnehmung deiner eigenen Arbeit aus? Was wird von ihr geblieben sein, wenn sich Forscherinnen, sagen wir in 200 Jahren, mit den Auffassungen des Verhältnisses von Modell und Wirklichkeit in der späten Moderne beschäftigen?
NG: Schwer zu sagen! Vielleicht trägt ja meine spezifische Praxis dazu bei, all diese fluiden Mikro-momente von Wirklichkeiten in ihrer grundsätzlichen Unfassbarkeit fassbarer und begreifbarer zu machen, um dadurch wiederum größere Zusammenhänge erkennen zu können? Nein, ich glaube, das wäre vermessen, das zu glauben! Wie auch immer – man ist ja immer auch Kind seiner Zeit – es kann sehr gut sein, dass in 200 Jahren auch mein Tun und meine Sichtweise absurd erscheinen. Anderseits kann es auch gut sein, dass es in 400 Jahren aus irgendeinem Grund wieder an Relevanz gewinnt, falls es dann noch jemanden geben sollte, der sich für Kunst(-produktion) in unserem zeitgenössischen Sinne interessiert.