Die raumgreifende Arbeit Zip Zap Circus School von Ângela Ferreira, eine Holzkonstruktion umspannt von Leinwand, verschiebbar auf Rollen, ist im Georgengarten auf Sichtachse der rekonstruierten Trinkhalle von Mies van der Rohe platziert. Vis-à-vis der Römischen Ruine aus dem 18. Jahrhundert folgt auf das 1:1 Modell der modernistischen Trinkhalle das 1:1 Modell der Zip Zap Circus School. Dieses Modell bezieht sich auf historische Entwürfe Mies van der Rohes und Pancho Guedes und berührt den wunden Punkt des kolonialen Erbes moderner Architektur. Deren Entwürfe wurden oftmals zuerst in europäischen Kolonien erprobt, bevor sie in die Mutterländer übertragen wurden. Die helle, von demokratischen Idealen getragene moderne Architektur wurde so zur Ästhetik der Unterdrückung. Auch deshalb bezeichnet die in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Mosambik aufgewachsene Künstlerin ihre Arbeit als Archäologie des Kolonialismus.
Zip Zap Circus School
- Ângela Ferreira, Zip Zap Circus School, Installationsansicht, Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine, 2019© Werkleitz 2019, Foto: Matthias Knoch
- Ângela Ferreira, Zip Zap Circus School, Installationsansicht, Werkleitz Festival 2019 Modell und Ruine, 2019© Werkleitz 2019, Foto: Matthias Knoch
Interview Ângela Ferreira mit Alexander Klose
AK: Zip Zap Circus School – die Arbeit, die du in unserer Ausstellung installieren wirst – besteht aus dem Modell eines Gebäudes, das nie gebaut wurde. Das Modell basiert auf Plänen, die 1995 von deinem portugiesisch-mosambikanisch-südafrikanischen Landsmann und Architekten Pancho Guedes entworfen wurden. Und es ist inspiriert von einem weiteren Fall einer nicht realisierten Architektur, dem maßstabgetreuen Modell eines Landhauses, das Mies van der Rohe, der spätere Direktor des Bauhauses, 1912 für das niederländische Sammlerehepaar Kröller-Müller konzipierte. In unserem E-Mail-Austausch hast du eine utopische Dimension der nicht gebauten Architektur angedeutet. Wo trifft deiner Ansicht nach die utopische Dimension auf die Realität?
ÂF: Als du den Titel der Ausstellung Modell und Ruine erstmals erwähntest, habe ich sofort an Zip Zap Circus School gedacht, das aus Stoff und Holz bestehende Modell eines Gebäudes, das nie gebaut wurde. Und da es am Ende einer Ausstellung immer zerstört wird, handelt es sich ebenfalls um eine Ruine. Es hat keine permanente Form, es bleibt eine projizierte Utopie, die sich immer wieder überraschend materialisiert, um uns an verschiedene Themen zu erinnern. Seine Bedeutung wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die Struktur an sich zwar groß und sehr visuell ist, sie von Natur aus jedoch flüchtig ist und ihre Materialien transparent und vergänglich sind. Zudem ist es eine riesige Konstruktion auf Rädern, sie hat also keine ständige Adresse, sie verweist stets darauf, dass sie durch die Landschaft bewegt, transportiert oder woanders hingebracht wird. Dies ist das erste Mal, dass diese Struktur in einen Dialog mit ihrer ursprünglichen Inspiration durch Mies van der Rohe und die umfassende Tradition der Moderne gebracht wird. Dass Mies seinen Entwurf für Kröller-Müller nicht umsetzen konnte, erinnert uns daran, dass nicht alle Architekturprojekte realisiert werden. Ein großes Modell im Maßstab 1:1 bauen zu können, ist jedoch ein Privileg, das dem reichen europäischen Kontinent vorbehalten ist. Bei dem afrikanischen Projekt hingegen ging es um ein Gebäude, das gebraucht und gewünscht wurde, das aber mangels Finanzierung nicht umgesetzt werden konnte. Es ist die Spannung zwischen diesen beiden Utopien, die mich bei der Errichtung der Zip Zap Circus School in Dessau interessiert. Es wird eine ungewöhnliche Situation sein, in der Mies van der Rohes Scheitern mit dem Scheitern von Pancho Guedes konfrontiert wird und die hoffentlich dazu führt, dass wir komplexer über Utopien nachdenken.
AK: Warum eine Zirkusschule? Wie übersetzt du die vorgesehene Nutzung des Gebäudeentwurfs von Guedes in deine künstlerische Interpretation?
ÂF: Mein Interesse an der Zirkusschule wurde anfänglich dadurch geweckt, dass diese damals als NGO gegründet wurde, um Kinder in Kapstadt von der Straße zu holen. Mir gefiel die Idee, dass Kinder auf konstruktive Weise durch informelle Bildung eingebunden werden können und sie dabei doch etwas lernen, das ihnen Spaß macht. Tatsächlich habe ich von der ZZ-Zirkusschule erfahren, bevor ich von Pancho Guedes’ Projekt wusste. Aber ursprünglich hatte ich nicht vor, damit zu arbeiten. Aufmerksam wurde ich erst, als mir klar wurde, dass die Gründer der Schule, Brent van Rensburg und Laurence Esteve, versucht hatten, mehr feste Unterkünfte für die Schule zu finden. Um Unterstützung beim Kauf eines Grundstücks für den Bau eines neuen Gebäudes zu finden, hatten sie Pancho Guedes gebeten, eine mögliche spätere Schule zu entwerfen. Als ich die Zeichnungen erstmals sah, stellte sich heraus, dass es Brent und Laurence nicht gelungen war, die nötige Unterstützung zu finden, und so standen die Entwürfe symbolisch für die Wunschvorstellung eines unerfüllten Projekts. Meine erste Präsentation des Projekts in Lissabon erfolgte dann in Zusammenarbeit mit Pancho für eine Ausstellung mit dem Titel More works about buildings and food. Es war eine skulpturale Umsetzung des architektonischen Traumes.
AK: Du hast Zip Zap Circus School in unterschiedlichen Versionen an verschiedenen Orten weltweit gezeigt, darunter in Kapstadt, Lissabon und Chicago. In Dessau kannst du die Arbeit jedoch erstmals in einem Park präsentieren. Die Skizze für das Kröller-Müller-Landhaus von Mies van der Rohe, der sowohl Pancho Guedes als auch dich inspiriert hat, wurde ebenfalls für einen Park entworfen. Wie ist dein Verhältnis zur (europäischen?) Vorstellung von Landschaft und Landschaftsgestaltung?
ÂF: Zwei Dinge haben mich an der Geschichte von Mies van der Rohes Modell für das Kröller-Müller-Museum gereizt: Zum einen war ich stets der Meinung, dass die Eigentümer den Bau des Modells als Entschädigung dafür ermöglicht hatten, dass sie sich gegen Mies van der Rohes Entwurf für ihr Museum/Haus entschieden hatten; und zum anderen hat mich fasziniert, dass es mit Rädern versehen war, damit es auf der Suche nach einem idealen Aufstellplatz in der Landschaft umhergefahren werden konnte. Ich habe die Räder natürlich eher metaphorisch interpretiert. Für mich trugen sie zu der Idee eines umherstromernden Gebäudes bei, das keinen Ort hatte, um sich niederzulassen. Das passt zu der Ausgangsidee meines Projekts, bei der es um ein Gebäude ging, das gewollt, aber nicht vorhanden war, ein Gebäude, das gewünscht wurde, aber nicht umgesetzt werden konnte. Das Foto des Modells von Mies van der Rohe ist ziemlich einzigartig, denn darauf sieht es wie ein echtes Gebäude aus, dabei handelt es sich lediglich um ein lebensgroßes Modell.
Was die Frage der Landschaft in meinem Projekt angeht, so verhält es sich damit etwas anders. Als wir beispielsweise in Kapstadt 2002 nach einem Platz zum Aufstellen der Struktur von Zip Zap Circus School suchten, dachten wir uns, der Ort, an dem sich der erste Zirkus in Kapstadt befunden hatte, sei wegen seiner Symbolik gut geeignet. Glücklicherweise handelte es sich dabei um einen Teil der Stadt, der lange unbebaut und unentwickelt geblieben und von unvollendeten Straßentrassen durchzogen war. Das Suggestive dieses verfallenen Stadtraums und der unfertigen Schnellstraßen unterstützte die Bedeutung der Skulptur als städtische Intervention. In Dessau hatte ich dann das Glück, dass das einmalige kleine Milchbargebäude, das Mies entworfen hat, direkt neben dem Georgengarten steht, in dem wir unser Projekt durchführen, und so werde ich es durch eine Reproduktion aus Leinwand und Holz und auf Rädern als Spiegelbild des realen Gebäudes in die Projektdiskussion von Zip Zap einbringen und den ursprünglichen Verweis auf Mies van der Rohe zu einem integralen Bestandteil der Arbeit machen. Auf diese Weise hoffe ich auch, den Diskurs über die Architektur der Moderne direkt in die Diskussion über die Moderne in Afrika und ihre Aneignung durch koloniale Regime überführen zu können.
AK: Du wurdest in Mosambik geboren und hast dort auch einen Teil deiner Kindheit verbracht. Dann bis du nach Portugal und später nach Südafrika gezogen, wo du Kunst studiert hast. Was bringt dich dazu, mit der Ästhetik und den Doktrinen der Moderne zu arbeiten?
ÂF: Als ich geboren wurde, war Mosambik noch immer eine Kolonie. Man könnte also sagen, dass ich ein Kind der Kolonialzeit war. Wie du vermutlich weißt, haben die meisten Länder mit Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg eine Menge Geld in Infrastruktur investiert. Die Kolonialmächte glaubten, die Besetzung dieser Gebiete länger aufrechterhalten zu können, wenn sie ihre Präsenz dort physisch kenntlich machten. Während meiner Kindheit in Maputo wurde sehr viel gebaut, meist moderne Architektur. In einigen Fällen handelte es sich dabei um hervorragende Beispiele für modernistische Experimente in der Architektur. Die Gebäude waren leicht, innovativ und abenteuerlich. Die Art von Raum, welche die Moderne dem Menschen bietet, habe ich also größtenteils als Kind erlebt, hier habe ich meine ersten räumlichen Erfahrungen gemacht.
Als ich dann mehr über die Geschichte der Architektur erfuhr und zu verstehen begann, woher die Architektursprache der Moderne stammte, musste ich einiges dazulernen. Erstens, dass es sich um eine Bewegung handelte, die in Europa begann, insbesondere in Deutschland und in den Niederlanden. Zweitens, dass es eine Bewegung war, die darauf abzielte, eine bessere Lebensqualität zu erreichen, bessere Gesundheitsbedingungen zu schaffen und generell die Emanzipation einer neuen Welt zu vereinfachen. Ich nehme an, man könnte sagen, dass dem ursprünglichen modernistischen Projekt eine Art demokratische Absicht zugrunde lag. Aber für mich als afrikanisches Kind wurden die Dinge kompliziert, als mir klar wurde, dass diese Architektursprache vom kolonialen Diskurs vereinnahmt worden war. Und als ich immer mehr Probleme mit dem Kolonialismus hatte, als ich anfing, dagegen Stellung zu beziehen, stand ich vor der Schwierigkeit zu verstehen, wie es möglich war, dass die Moderne, die als progressive Idee begonnen hatte, von einem bösen politischen System übernommen worden war. In einem Großteil meiner Arbeiten geht es darum, dieses Geheimnis zu enträtseln. Meine komplexe Beziehung zu etwas, das ich sowohl bewundere als auch hasse, ist in meiner Praxis immer präsent – eine Archäologie des Kolonialismus.